Vor mehr als 90 Jahren hat Otto Bock als innovativer Unternehmer die serienmäßigen Passteile eingeführt - ein bedeutender Schritt für die gesamte Orthopädie und insbesondere für die Versorgung der Amputierten des Ersten Weltkrieges. Er war damit ein wegweisender Pionier in der Rehabilitation.
Am 19. November 1888 in Rudolstadt geboren, verbringt Otto Bock seine Kinder- und Jugendzeit im Kreis seiner Familie. Mit 14 Jahren beginnt er seine Lehre als Orthopädiemechaniker in Jena. Nach Wanderjahren, die ihn nach Berlin, Aachen, Holland, Belgien und Polen führen, findet er 1912 eine Anstellung im Bandagisten-Fachgeschäft Kaempf & Co. in Halle. Dort lernt er seine zukünftige Ehefrau Marie Kayser kennen.
Mit der Gründung der Orthopädischen Industrie GmbH (O.I.) im Januar 1919 in Berlin nimmt eine unternehmerische Erfolgsgeschichte ihren Anfang. Noch im gleichen Jahr siedelt die Firma nach Thüringen um, Königsee bleibt für Jahrzehnte Firmen- und Familiensitz. Beim Aufbau der O.I. ist Otto Bock als Betriebsleiter fachlicher Ideengeber und innovativer Motor. 1923 übernimmt er die Geschäftsführung und ist ab 1935 alleiniger Inhaber.
„Er war Schrittmacher einer neuen Entwicklung und hat auf seinem Gebiet Überragendes geleistet. Wäre er Arzt geworden, hätte er zu den Großen der Medizin gehört." (Ministerialrat Dr. med F. Paetzold, Leiter der Ärztlichen Abteilung des Bundesministeriums für Arbeit, 1953)
Treffender lässt sich kaum zusammenfassen, welche Bedeutung das Lebenswerk Otto Bocks (1888-1953) in der Geschichte der Orthopädietechnik einnimmt.
Den 125. Geburtstag des Unternehmers hat Prof. Hans Georg Näder - Firmenchef des Medizintechnik-Unternehmens Ottobock in der dritten Generation -, zum Anlass genommen, seinem Großvater eine Ausstellung im Duderstädter Alten Rathaus zu widmen.
Die zahlreichen Bilddokumente, Archivmaterialien und autobiografischen Aufzeichnungen werden in dieser Publikation noch einmal zusammengestellt. Sie porträtieren den Gründervater der Orthopädischen Industrie als tatkräftigen Familienunternehmer und Wegbereiter der modernen Orthopädie des 20. Jahrhunderts.
Aus dem Vorwort des Herausgebers:
Unternehmer, Wegbereiter, Patriarch
Erinnerungen an meinen Großvater Otto Bock
Tradition und Innovation sind seit drei Generationen tragende Säulen unserer Unternehmensphilosophie. Sie stellen den Menschen in den Mittelpunkt. Als mein Großvater Otto Bock 1919 in Berlin die Orthopädische Industrie GmbH gründete, galt es eine riesige Anzahl von Versehrten des 1. Weltkrieges mit Prothesen zu versorgen. Eine fast unlösbare Aufgabe, die neue Technologien und weitsichtiges unternehmerisches Handeln erforderte. Durch seine wegweisende Idee, einzelne Bauteile serienmäßig zu fertigen, hat er den Prothesenbau weltweit geprägt und die Orthopädie-Technik revolutioniert. Aus kleinen Anfängen in Berlin und seiner thüringischen Heimat Königsee ist ein global agierendes Medizintechnik-Unternehmen entstanden, das heute als Markt- und Technologieführer neue Maßstäbe für die Wiedererlangung der Mobilität setzt.
Den 125. Geburtstag meines Großvaters am 19. November 2013 nehme ich gern zum Anlass, sein Lebenswerk mit einer Foto-Ausstellung im Duderstädter Alten Rathaus und dieser begleitenden Publikation zu würdigen. Die historischen Bilddokumente zeigen seinen Lebensweg inmitten seiner Familie und die Entwicklung der Firma Otto Bock. Sie stellen den mutigen Firmengründer und menschlichen Familienunternehmer dar und erinnern an seine Leistungen als weitsichtigen Wegbereiter ebenso wie an die von ihm praktizierte interdisziplinäre Kommunikation.
Anhand von Fotos, Dokumenten, handschriftlichen Aufzeichnungen und Zitaten gelingt es den Ausstellungsmachern, ein umfassendes Bild des Jubilars eindrucksvoll darzustellen und sein Denken und Handeln nachzuvollziehen. Ich finde es erstaunlich und bewundernswert zugleich, wie analytisch durchdacht, technisch und betriebswirtschaftlich umfassend und nicht zuletzt überzeugend verständlich er die persönlichen Grundsätze seiner Führung als Unternehmer formuliert hat. Jahrzehnte alt und immer noch hoch aktuell seine Prinzipien für unternehmerischen Erfolg - Chapeau - eine Fundgrube für jeden Firmenchef, Geschäftsführer oder auch Berater.
In diesem Sinne sehe ich seine hier erstmals veröffentlichter Leitlinien und persönlichen Merksätze als besonderen Schatz, der in dieser Publikation einen angemessenen Platz findet. Für das gezielte Sichten der umfangreichen Materialien und die akribische Auswahl der Bilder und Dokumente danke ich dem Archiv-Team Ursula Grunau (jahrzehntelange Chefsekretärin und Special Projects Management), Maria Hauff (Corporate History and Archives) und Lothar Milde (Orthopädie-Technikermeister und langjähriger fachlicher Berater des Firmenchefs) ganz herzlich. Sie haben meine Vorgaben, in der Ausstellung auf umfassende textliche Erklärungen zu verzichten, beherzigt und dem Anlass entsprechend mit über 100 Bilddokumenten den Jubilar in allen Facetten zu beleuchten, in exzellenter Weise umgesetzt.
Mein Dank gilt auch Herrn Sebastian Peichl und seinem Team von der Berliner Agentur Wunderblock für die gewohnt hochwertige Gestaltung. Das i-Tüpfelchen, ein alter „Horch", der an die Motorisierung meines Großvaters erinnert, verdanken wir dem Einbecker Oldtimer-Sammler Herrn Karl-Heinz Rehkopf. Herr Bürgermeister Wolfgang Nolte stellte uns wieder einmal den Duderstädter Rathaussaal zur Verfügung.
Diese Publikation, ein Bilderalbum von den ersten Lebensjahren meines Großvaters im 19. Jahrhundert bis zu seinem viel zu frühen Tod 1953 in Duderstadt, stellt die Verbindung zu der blauen Broschüre her, die anlässlich des 100. Geburtstages 1988 mit der Ansprache meines Vaters Max Näder herausgegeben wurde. Damals formulierte mein Vater in einer Feierstunde: „Unser Firmengründer wäre stolz, wenn er sehen könnte, wie die Firmengruppe, die seinen Namen trägt, sich entwickelt hat". Dieser Satz gilt auch heute noch ohne Abstriche. Ich bin meinen Großeltern und meinen Eltern Maria und Max Näder unendlich dankbar für ihre Lebensleistungen als Familienunternehmer.
Ausstellung und Publikation sind eine Hommage an meinen Großvater Otto Bock. Sie zeigen, dass Tradition und weitsichtiges Handeln gelebte Unternehmensphilosophie sind.
Prof. Hans Georg Näder
Geschäftsführender Gesellschafter Ottobock HealthCare
November 2013